On-Demand und MaaS: Die Weichenstellung für den ÖPNV
On-Demand und MaaS stellen den ÖPNV neu auf: Flexibel und digital ergänzen sie den Linienverkehr, verbessern Reichweite, Nutzerfreundlichkeit und Effizienz – und sichern die Zukunft des Systems.

Mit einem Klick den Bus rufen: Die On-Demand-App verknüpft digitale Buchung mit flexiblem Nahverkehr direkt vor der Haustür. (Copyright: Adobe Stock)
Die Busbranche steht mitten in einer Strukturreform. Zwei Trends bestimmen die Agenda: On-Demand-Verkehre als flexible Ergänzung zum Takt – und Mobility-as-a-Service (MaaS) als digitale Klammer für Planung, Buchung und Bezahlung. Beide Entwicklungen sind kein Selbstzweck, sondern Instrumente, um Verlässlichkeit, Flächenabdeckung und Kosteneffizienz im ÖPNV gleichzeitig zu erhöhen.
On-Demand: Vom Projekt zur Betriebsschiene
Der klassische Linienverkehr bleibt das Rückgrat: planbar, kapazitätsstark, wirtschaftlich auf Hauptachsen. Doch in Randzeiten, auf der „letzten Meile“ und im ländlichen Raum entstehen Kosten, die nur durch On-Demand-Shuttles gezielt gelöst werden können. Entscheidend ist nicht „Entweder-oder“, sondern die hybride Orchestrierung: Linien als Grundversorgungsnetz, On-Demand als elastische Zubringer- und Randzeit-Schicht, eingebettet in Dispositions- und Tariflogik des Verbunds.
Aktuelle Beispiele zeigen die Richtung:
• Leipzig FLEXA ist aus dem Pilotmodus herausgewachsen und knackte 2025 die Marke von 1 Mio. Fahrgästen – ein Indiz, dass On-Demand als dauerhafte Betriebsschiene funktionieren kann. MDV
• Im RMV bündelt die neue OnDemand@RMV-App die bedarfsorientierten Angebote netzweit; parallel läuft mit KIRA der nächste Technologieschritt: Level-4-Shuttles als öPNV-Zubringer im Testbetrieb. RMV
• In Berlin hat die BVG mit BVG Muva einen klar abgegrenzten, barrierearmen On-Demand-Dienst etabliert – mit Fokus auf Mobilitätseingeschränkte und Zubringerfunktionen zum Netz. BVG Muva
• Im britischen Hertfordshire zeigt HertsLynx, wie DRT strukturschwache Räume mit hunderten virtuellen Haltepunkten sinnvoll erschließen kann. HertsLynx
Herausforderungen bleiben: Betriebssteuerung (Pooling-Algorithmen, Fahrerdisposition), Schnittstellen zu Leitstellen, Tarifintegration samt Einnahmenaufteilung – und vor allem Regulierung & Vergabe: On-Demand muss rechtssicher als Teil des ÖPNV bestellt und finanziert werden, statt im Graubereich zwischen Linien- und Gelegenheitsverkehr zu verharren.
MaaS: Kundenschnittstelle entscheidet über Akzeptanz
MaaS skaliert nur, wenn Bus, Bahn und Sharing-Dienste in einer App plan-, buch- und bezahlbar sind – inklusive Verbundtarif und Bestpreislogiken. Erfolgreiche Beispiele setzen auf offene Schnittstellen und klare Betreiberrolle der öffentlichen Hand:
• BVG Jelbi bündelt ÖPNV und Sharing in einer App – Berlinweit mit Routenplanung, Buchung und Payment; fünf Jahre nach Start zeigt das Angebot stabile Reife. JelbiTrafi
• hvv switch in Hamburg integriert Ticketkauf (inkl. Deutschlandticket), MOIA-Shuttle, Car- und E-Scooter-Sharing; mit hvv Any kommt Account-/Bestpreis-Ticketing per Check-in/Be-out in den Regelbetrieb. HVV
• LeipzigMOVE verknüpft Verbundticketing, FLEXA-Buchung sowie Bike-/Car-/E-Scooter-Sharing – ein gutes Beispiel für die durchgängige Nutzerführung aus einer App des Aufgabenträgers. LeipzigMOVE

Per Smartphone checkt eine Nutzerin an der Haltestelle ihre nächste Verbindung – so fühlt sich Mobility as a Service im Alltag an: einfach, vernetzt, unterwegs. (Copyright: Adobe Stock)
Doch nicht immer sind diese Modelle erfolgreich. Das finnische Startup „Whim“ hatte schon 2015 On-Demand Dienste als Ergänzung um Nahverkehr in Helsinki angeboten. Doch die Abo-Flatrate-Modell ohne tiefe Integration in Verbundtarife, ohne klare Einnahmenteilung und ohne starken öffentlichen Auftraggeber ist schwer tragfähig. Folge: Das Unternehmen musste 2024 Insolvenz anmelden. Für die Branche ist das eher Kurskorrektur als Abgesang: MaaS bleibt, aber mit öffentlicher Governance, interoperablen Standards und realistischen Geschäftsmodellen. frost.com
Daten & Standards: Stillarbeit, die den Unterschied macht
Operativ entscheidend sind Realtime-Datenqualität, einheitliche Produkte (Account-based Ticketing, Bestpreis), sowie offene Protokolle für Sharing-Integration und Reiseplanung. Wer heute in IT-Schnittstellen zu Sharing und in einheitliche Kundenkonten investiert, schafft die Grundlage für verlässliche Kundenerlebnisse – und für belastbare KPIs (Pünktlichkeit, Umstiegsqualität, Door-to-Door-Zeit).
3–5-Jahres-Ausblick: Vom Showcase zur Skalierung
1. On-Demand wird Bestandteil des Regelfahrplans. Erwartbar ist die Ausweitung auf Randzeiten & dünne Räume, mit klaren Qualitätskennzahlen (max. Wartezeit, Anschlusssicherung, Auslastung). Autonome Shuttles bleiben zunächst testfeldgebunden, können aber punktuell die Kostenstruktur verbessern, wenn Sicherheits- und Rechtsrahmen greifen.
2. MaaS konsolidiert sich.Statt vieler Einzel-Apps setzen große Verbünde auf eine starke Marke/App mit Ticketing, Bestpreis und Sharing – die Kundenschnittstelle bleibt öffentlich, kommerzielle Partner docken über standardisierte APIs an. Beispiele wie Jelbi, hvv switch oder LeipzigMOVE zeigen die Architektur.
3. Tariflogik wird einfacher, digitaler. Account-based Modelle und Check-in/Be-out setzen sich durch; Bestpreisabrechnung wird zum Erwartungsstandard – wichtig für Gelegenheitsnutzer und Touristen. Hamburg liefert hier bereits Blaupausen.
4. Beschaffung & Vergabe bewegen sich zu leistungsorientierten Verträgen (Output-KPIs statt Fahrzeug-/Kilometerfixierung). Das stärkt integrierte Angebote, die Linien- und On-Demand-Leistungen aus einem Guss erbringen.
Fazit
Die nächsten Jahre sind weniger eine Frage neuer Apps als der Betriebsintegration. Wer On-Demand systematisch in den Linienbetrieb einbettet, wer die Kundenschnittstelle im öffentlichen Mandat hält und wer Daten-/Ticketing-Standards sauber umsetzt, gewinnt. Der Bus bleibt Rückgrat des Systems – On-Demand macht ihn reichweitenstärker, MaaS macht ihn sichtbarer. Der Rest ist Disziplin: Datenqualität, Vergabehandwerk, API-Pflege.