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Interview mit Professor Heinz-Dieter Quack
Herr Professor Quack, Sie beobachten als Wissenschaftler und Berater seit mehr als 25 Jahren die Entwicklung touristischer Märkte und die Situation der Reisewirtschaft insgesamt. Welche größten Veränderungen haben sich in dieser Zeit eingestellt? Und worauf gründen diese?
Mit Sicherheit die umwälzendste Entwicklung ist die Digitalisierung. Zwar ist dies kein absolut neuer Trend, jedoch hat die enorme technologische Entwicklung der letzten Jahre zu einer deutlichen Veränderung der Stellschrauben im Reisemarkt insgesamt geführt. Beispielhaft möchte ich hier nur den Vertrieb, aber auch die sehr deutlich zunehmende Bedeutung des Geschäftsbereichs „Touren&Aktivitäten“ erwähnen. Dazu kommt, dass digitale Technologien eine aus Kundensicht weitaus stärke Personalisierung der Ansprache und des Reiseerlebnisses selbst möglich machen.
Und genauer betrachtet: Wie haben diese Trends den Busreisesektor verändert?
Die Busreise ist ein sehr beständiges Branchensegment, dessen Potentiale sich durch neue technologische Trends erstmalig voll ausschöpfen lassen. Früher stand die Busreise stark im Schatten der klassischen Flugpauschalreise, sie war in relevanten Vertriebskanälen nur sehr rudimentär buchbar. Das ändert sich jetzt. Die mit der Digitalisierung einhergehende Personalisierung des touristischen Angebots wird es Busreiseveranstaltern ermöglichen, neue Zielgruppen zu erschließen. Vielleicht wird es in Zukunft sogar möglich sein, Reisegruppen so zu konfigurieren, dass sie menschlich optimal zueinander passen. Das bedeutet aber auch: Der Busreiseveranstalter muss mit der Zeit gehen. Zum klassischen Vertrieb kommt der digitale Vertrieb hinzu und wird den klassischen Vertrieb in allen Teilmärkten substanziell überholen.
Der Schutz von Umwelt und Klima steht derzeit in Zentrum fast aller öffentlichen Diskussionen. Mehr denn je müssen wir auch den Tourismus unter diesen Gesichtspunkten betrachten. Können wir noch mit guten Gewissen reisen? Und wann ja: wie?
Es ist beachtlich, mit welchem Engagement die Tourismusbranche diese Debatte selbst führt. In der Öffentlichkeit selbst stehen andere Wirtschaftszweige deutlich stärker am Pranger. Energiewirtschaft, Automobilindustrie und Logistik und natürlich die Industrie selbst haben einen deutlich höheren CO2-Verbrauch als der Tourismus.
Nachhaltigkeit selbst hat viel mehr Facetten als Schadstoffemissionen. Auf viele Kriterien der Nachhaltigkeit, von Bildung über Innovationskraft bis zu Frieden in der Welt, zahlt Reisen sehr positiv ein. Die Tourismuswirtschaft kann gestärkt aus der aktuellen Debatte hervorgehen, wenn sie es schafft, das Thema Nachhaltigkeit positiv zu besetzen. Dafür gibt es eine Vielzahl guter Argumente.
Im Tourismussektor besteht auf Seiten der Destinationen die Gefahr, Opfer des eigenen Erfolgs zu werden. Die Attraktivität von Städten zieht mitunter so viele Touristen an, dass genau diese Attraktivität darunter zu leiden droht. Gibt es Rezepte dagegen? Und braucht es solche überhaupt?
Wichtig erscheint mir, dass die Interessen von Touristen und Einwohner im Einklang stehen. Potentiale der Besucherlenkung gibt es ja im Übermaß, beginnend von Abgaben und Steuern bis hin zur Steuerung auf kapaziätsschwache Zeiten. Wir sollten nicht vergessen, dass wir in aller Regel über lokale Probleme reden, die auch auf lokaler Ebene lösbar sind. Unsere aktuellen Untersuchungen im Kompetenzzentrum Tourismus des Bundes zeigen recht deutlich, dass wir in Deutschland eher punktuelle und saisonale, jedoch sicher keine grundsätzlichen Überlastungserscheinungen in der touristischen Entwicklung haben. Erfolgskritisch ist hier weniger die konkrete Anzahl von Reisenden zu einer Zeit an einem Ort, als vielmehr, ob und inwieweit es einen Konsens unter den Einwohnern und Akteuren einer Destination über die gewünschte touristische Entwicklung der Destination gibt.
Busse sind mitunter zum Symbolbild für „Overtourism“ geworden? Ist das berechtigt? Wie können wir das Bild als Branche geraderücken?
„Overtourism“ folgt keiner festen Definition und hat viele Facetten. Ich sehe aktuell nicht, dass Busse ein zentrales Sinnbild dieses Phänomens sind. Andere Verkehrsträger scheinen mir derzeit deutlich stärker in der Kritik zu stehen. Ich warne aber davor, dass jeder Anbieter hier in eigener Verteidigungshaltung mit dem Finger auf andere Reiseformen zeigt. Viel wirkungsvoller scheint mir, die überaus nachhaltigen Effekte des Reisens an sich in den Vordergrund zu stellen.
Mit der Einrichtung des Kompetenzzentrums Tourismus des Bundes und den ersten Schritten zu einer nationalen Tourismusstrategie lässt die Bundesregierung Engagement für die Reisewirtschaft erkennen. In einer zunehmend postindustriellen Gesellschaft ist das sicherlich auch ökonomisch notwendig. Welche Potenziale sehen für Beschäftigung und Wachstum? Und wie können Busunternehmen daran teilhaben?
Das Kompetenzzentrum Tourismus des Bundes fördert den Dialog zwischen Politik, Wissenschaft und Praxis und stellt insbesondere mittelständischen Unternehmen damit wichtiges Know-How zur Verfügung. Wir arbeiten hier eng mit dem bdo zusammen. Wir sehen, dass die unterschiedlichen Segmente im Tourismus viel voneinander lernen können. Wir versuchen mit unserer Arbeit, die sehr vielfältigen Kräfte der deutschen Tourismuswirtschaft ein Stück weit zu bündeln und ihnen so mehr Gehör in der Politik zu geben.
Die Politik hat die Relevanz des Tourismus als Wirtschaftsfaktor erkannt und ist jederzeit offen für Gespräche. Auch hier ist Mittelstandsförderung eine zentrale Aufgabe. Wir kommunizieren mit der Branche über Newsletter und Befragungen. Und wir freuen uns, wenn auch Busunternehmer unsere Angebote auf www.kompetenzzentrum-tourismus.de nutzen.
Lassen Sie und zum Schluss nach vorne, auf die Zukunft schauen. Welche Trends zeichnen sich für die Reisewirtschaft insgesamt ab? Und wie beurteilen Sie diese Entwicklungen mit Blick auf die Busbranche?
Der digitale Wandel hat gerade erst begonnen. Wir können aktuell nur erahnen, welche Anbieter und welche Technologien auch morgen den Zugang zum Kunden bringen. Klar ist, dass mobile Technologien und eine sehr hohe Personalisierung des Angebots eine zentrale Rolle spielen. Gut zu wissen auch ist, dass die Teilhabe an neuen digitalen Geschäftsmodellen häufig keine Rocket Science ist und in erster Linie Neugier und den Mut zur Veränderung erfordert. Es lohnt sich, diesen Mut aufzubringen, denn die Chancen überwiegen die Risiken.