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Gastbeitrag: ReFuels - Hoffnungsträger für den ÖPNV?

Die EU-Richtline (EU) 2019/1161, auch Clean Vehicle Directive (CVD) genannt, verlangt von ÖPNV-Betrieben die sukzessive Umstellung der Fuhrparks auf alternative Antriebe. Diese Antriebswende weg vom Verbrennungsmotor verlangt von den Unternehmen neben der kostenintensiveren Fahrzeugbeschaffung den Neuaufbau von technologischer Infrastruktur, von neuen Kenntnissen und viel Kapital – all dies in einem verhältnismäßigem Rekordtempo. Gerade für kleinere Unternehmen scheinen die mit der CVD verbundenen Herausforderungen zu groß. In herkömmlichen Dieselmotoren einsetzbare ReFuels werden so zu einem Hoffnungsträger in einer Branche, die ihrer Verantwortung beim Erreichen der Klimaziele gerecht werden muss.

ReFuels als Baustein einer CO2-neutralen Mobilität

Die Unternehmen des ÖPNV stehen vor gewaltigen Veränderungen. Diese sind einerseits bedingt durch das Pandemiegeschehen, welches seit Anfang 2020 zu massiven Einschnitten auch im ÖPNV geführt hat und daneben weitreichende sozio-ökonomische Veränderungen begünstigt bzw. beschleunigt hat. Andererseits ist die Branche erfasst von regulatorischen Eingriffen seitens des Staates aufgrund der wachsenden Problematik des Klimawandels.

So trat am 15. Juni dieses Jahres das Saubere-Fahrzeuge-Beschaffungs-Gesetz (SaubFahrzeugBeschG) in Kraft. Es regelt die Umsetzung der EU-Richtlinie (EU) 2019/1161 über die Förderung sauberer und energieeffizienter Straßenfahrzeuge, die Clean Vehicles Directive, kurz CVD, in Deutschland.

Mit diesem Gesetz, welches die Eins-zu-eins-Umsetzung der CVD vorsieht, werden seit dem 2. August 2021 erstmals bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen verbindliche Mindestziele für die Beschaffung von emissionsarmen und -freien schweren Nutzfahrzeugen gesetzlich vorgegeben.

Mindestens 45 Prozent der beschafften ÖPNV-Busse müssen bis 2025 alternative Antriebe nutzen, bis 2030 sollen es 65 Prozent sein. Alternative Antriebe also in Form von Strom, Wasserstoff, Erdgas, synthetischen oder Bio-Kraftstoffen. Mindestens die Hälfte dieser Mindestziele müssen emissionsfreie Fahrzeuge sein.

ReFuels als Baustein einer CO2-neutralen Mobilität. (Quelle: KIT)

ReFuels als Brückentechnologie

Die EU-Kommission betrachtet dabei die synthetischen und Bio-Kraftstoffe, zusammengefasst als reFuels, als sogenannte »Brückentechnologie«. EU-Kommissionsexpertin Laure Chapuis äußerte sich folgendermaßen zu deren Einsatz: »In einer Übergangsphase werden auch andere Formen von kohlenstoffarmen Wasserstoffen und Kraftstoffe benötigt, um den Prozess der Abkehr von fossilen Brennstoffen in Gang zu bringen.« ReFuels werden entweder aus Biomasse (Biomass-to-Liquid, BtL) oder aus Strom (Power-to-Liquid, PtL) erzeugt.

Ihr Einsatz als Baustein innerhalb einer CO2-neutralen Mobilität, dürfte den ÖPNV-Betrieben angesichts der großen Herausforderungen, die die CVD mit sich bringt, auf verschiedenen Ebenen entgegenkommen. Für Verkehrsunternehmen stellt die Umsetzung der neuen CVD mit ihren erheblichen Mehrkosten eine enorme finanzielle, betriebliche und organisatorische Herausforderung dar.

So müssen etwa bei einer Busflottenelektrifizierung neben den bloßen, circa 2,5 Mal höheren Anschaffungskosten der Fahrzeuge im Vergleich zu Dieselbussen weitere beträchtliche Hürden gemeistert werden. Es muss eine komplett neue Lade- und Transportinfrastruktur aufgebaut werden. Gerade für ländlich angesiedelte Unternehmen stellt die Schaffung eines entsprechenden Netzanschlusses samt der benötigten Energiemenge oft ein Problem dar. Hinzu kommen neue Betriebsabläufe, Veränderungen in der Werkstatt, Schulungen für das Personal, ein veränderter Platzbedarf durch die neue Technologie. Neben der Unsicherheit darüber, in welche emissionsfreie Antriebstechnologie das einzelne Unternehmen bedarfsgerecht investieren sollte, ist der parallele Einsatz von zwei oder drei Antriebstechnologien gerade für kleinere Unternehmen schwer zu bewältigen. Dies sind nur einige Aspekte, die im Rahmen einer Umstellung des ÖPNV auf emissionsfreie Antriebe zu nennen sind.

Von diesen abgesehen, zeigen aktuelle Szenarien zur Energiewende-für den Verkehrssektor, dass die Elektromobilität bis 2050 allein keine vollständige Energiewende im Verkehr ermöglicht. Alternativen zu ihr und zum Wasserstoffantrieb sind zunächst also unumgänglich.

Die Brückentechnologie reFuels hat den Vorteil, dass ohne den Aufbau einer neuen Infrastruktur vorhandene Dieselbusse betankt werden und somit weiterhin im Betrieb belassen werden können. Auch können bereits existierende Infrastrukturen und Anwendungstechnologien weiter genutzt werden.

Forderung nach mehr Tempo

Doch das Tempo beim Ausbau der reFuel-Versorgung hat noch längst nicht an Fahrt aufgenommen. Spricht man beim E-Bus bereits vom Hochlauf, steckt die Re-Fuel-Technologie in den Startlöchern fest. So sieht es auch das Land Baden-Württemberg, das nach eigenen Angaben einzige Bundesland, das eine »Roadmap für den Hochlauf von Re-Fuels« erarbeitet hat. Erst im Oktober 2021 hatte der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Herrmann langwierige Verfahren auf EU- und Bundesebene kritisiert. Verbunden mit der Forderung an die Europäische Union und den Bund höhere Verfahrensgeschwindigkeiten und eine Beschleunigung der Bereitstellung von Fördermitteln für die Umsetzung von Projekten mit erneuerbar erzeugten Kraftstoffen zu schaffen.

ReFuels würden zeitnah gebraucht, um die Klimaziele zu erreichen, sagte Winfried Herrmann. Diese Kraftstoffe seien ausreichend erforscht und in der praktischen Anwendung erprobt. Man müsse aus dem Forschungsmaßstab endlich in die industrielle Massenproduktion.

»Wir warten seit fast zwei Jahren darauf, dass das BMVI eine Ausschreibung zur Förderlinie Erzeugung für Anlagen mit mehr als 10.000 Tonnen pro Jahr veröffentlicht.« In Berlin warte man seinerseits auf die Veröffentlichung der »delegierten Rechtsakte zur Zertifizierung von Grünem Wasserstoff« seitens der EU. Bevor ein Förderprojekt starten könne, vergingen so möglicherweise dreieinhalb oder vier Jahre. Zumindest sollte mit einer sogenannten Unbedenklichkeitserklärung bis zur endgültigen Entscheidung der Weg freigemacht werden, ging Herrmann auf einer Landtagssitzung ins Detail.

Neben dieser Forderung haben die Länder Baden-Württemberg, Brandenburg und Hamburg einen Antrag zur Änderung der Verordnung zum Bundesimmissionsschutz-Gesetz, um synthetische Kraftstoffe (Power-to-Liquid) künftig auch an Tankstellen als Reinkraftstoffe vermarkten zu dürfen, eingereicht. Der bdo unterstützt diesen Antrag.

Das Energy Lab 2.0 Quelle: KIT

Die Effizienz der verschiedenen Antriebstechnologien beim Einsatz in Autos. Quelle: Agora Verkehrswende und Agora Energiewende (2018), Grafik 2, basierend auf acatech et al. (2017), Grafik 5.

ReFuels-Projekt am KIT

Baden-Württemberg engagiert sich im Rahmen seiner Roadmap für den Hochlauf von reFuels seit dem Jahr 2019 mit fünf Millionen Euro am Projekt »ReFuels – Kraftstoffe neu denken« am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Aus der Automobilindustrie, der Zulieferindustrie und der Mineralölwirtschaft flossen weitere 15 Millionen Euro in das Projekt.

Für das Projekt wurden bislang zwei Versuchsanlagen zur Herstellung und Anwendung von Kraftstoffen eingerichtet. Das bioliq® und das Energy Lab 2.0 lieferten nach Angaben des KIT bereits mehrere tausend Liter regenerativer Kraftstoffe. Auch fanden Tests in Verbrennungsmotoren statt. Das Ziel ist, die Syntheseverfahren für reFuels zu optimieren, um die Rohemissionen zu reduzieren.

Die Forscher sind mittlerweile auf einem Stand angekommen, an dem sie synthetische Kraftstoffe für einen breiten Einsatz im Verkehrssektor als geeignet ansehen. »Wenn diese so gemischt und aufbereitet werden, dass sie die bestehenden Kraftstoffnormen erfüllen, können damit alle verbrennungsmotorischen Anwendungen bedient werden«, so das Ergebnis der Fahrzeug- und Flottentests.

»Die bisher bei uns untersuchten reFuels-Kraftstoffgemische halten bestehende Kraftstoffnormen für Benzin- und Dieselkraftstoffe ein. Bei Anwendungstests in Pkw der Bestandsflotte konnten wir bei reFuels keine nachteiligen Eigenschaften feststellen. In einzelnen Fällen zeigten sich hinsichtlich der Schadstoffemissionen sogar leichte Vorteile – sowohl bei den Diesel- als auch den Benzinfahrzeugen«, erläutert Uwe Wagner vom Institut für Kolbenmaschinen (IFKM) des KIT. Zudem wurden Flottentests mit sechs Lkw durchgeführt. Auch hier zeigten die Ergebnisse keinerlei Probleme in der Anwendung.

Um jedoch das Potenzial der reFuels zu Reduktion von Treibhausgasen auszuschöpfen, muss der Strom zu 100 Prozent regenerativ erzeugt werden. Das für die Synthese notwendige CO₂ wird aus der Luft abgeschieden oder aus Abgasströmen von beispielsweise Biogas- und Kläranlagen. Um die Technologie zu etablieren müssen die PtX-Anlagen mit einer ausreichend hohen Volllaststundenzahl betrieben werden. Im Jahr 2026 sieht der am KIT tätige Experte für synthetische Kraftstoffe Prof. Roland Dittmeyer die Marktreife erreicht.

Einen weiteren Vorteil hätte der Einsatz von re-Fuels noch: In Katastrophenfällen könnten sie statt Dieselvorräten vorgehalten werden, um den Betrieb von Fahrzeugen, Katastrophenschutz, der Notbevorratung der Polizei, Feuerwehr sicherzustellen.

Hindernisse des breiten reFuel-Einsatzes

Dennoch, es gibt Hindernisse und Risiken bei der Brückentechnologie. Ihre Effizienz liegt derzeit deutlich unter der eines Elektromotors. Erreicht ein Elektromotor eine Effizienz von 69 Prozent, sind es bei PtL nur 13 Prozent. Die Kosten, welche für den Aufbau einer neuen Infrastruktur bei reFuels zunächst eingespart werden, müssen zumindest in Teilen in die Produktion der neuen und bislang teuren Technologie investiert werden. Zwar existieren Kostenszenarien für reFuels, doch weichen diese in Abhängigkeit von Strompreisen und Herstellungsmenge voneinander ab. Die Bundesregierung bewertete die Entwicklung der Kosten für reFuels bis zum Jahr 2030 bislang als unsicher.

Gleichzeitig ist der massenhafte Einsatz von reFuels derzeit mit Produktionsunsicherheiten verbunden. Eine industrielle Produktion muss erst aufgebaut werden. Zu dieser zählt auch die Verfügbarkeit des notwendigerweise aus regenerativen Quellen gewonnenen Stroms. So kam eine Studie des Öko-Instituts im Jahr 2019 zu dem Ergebnis, dass die Nutzung strombasierter Energieträger erst dann sinnvoll sei, wenn ein Ökostromanteil von 80 Prozent erreicht sei. Vor diesem Hintergrund sei ein nennenswerter Einsatz von synthetischen Kraftstoffen vor dem Jahr 2030 unwahrscheinlich.

Quellen:
acatech et al. (2017a): acatech, Leopoldina, Akademienunion. „Sektorkopplung“ – Optionen für die nächste Phase der Energiewende. Stellungnahme, November 2017 www.acatech.de/de/publikationen/publikationssuche/detail/artikel/sektorkopplung-optionen-fuer- die-naechste-phase-der-energiewende.html
ADAC: https://www.adac.de/verkehr/tanken-kraftstoff-antrieb/interview-e-fuels-pilotanlage/
Agora Verkehrswende and Agora Energiewende (2018): The Future Cost of Electricity- Based Synthetic Fuels: Conclusions Drawn by Agora Verkehrswende and Agora
Bundesregierung: https://dserver.bundestag.de/btd/19/087/1908742.pdf
Energiewende. In: Agora Verkehrswende, Agora Energiewende and Frontier Economics (2018): The Future Cost of Electricity-Based Synthetic Fuels.
Bundesministerium für Verkehr und Infrastruktur: https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Artikel/G/clean-vehicles-directive.html
Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmen e.V.: SN41 Positionspapier - Nationale Umsetzung der Clean Vehicle Directive
Karlsruher Institut für Technologie (KIT): https://www.kit.edu/kit/pi_2021_066_refuels-fur-den-breiten-einsatz-geeignet.php, https://www.refuels.de/107.php
Öko-Institut: eMobil 2050 Szenarien zum möglichen Beitrag des elektrischen Verkehrs zum langfristigen Klimaschutz

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